»Wie schmerzlich war es, nur deshalb geliebt zu werden, weil man existierte. Was für eine Unruhe brachte eine solche Liebe mit sich. Wie sich die Gedanken vor Ungläubigkeit verwirrten, wie das Herz vom beschleunigten Klopfen anschwoll. Wie die Welt in die Ferne rückte und ihre Greifbarkeit verlor.«
»Auf Reisen trifft man letzten Endes immer auf sich selbst, als wäre man selbst sein Reiseziel. … Bei sich zu Hause hört man auf, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und dann sieht man am meisten.«
»Und erst als sie aufwachte, begriff sie, dass sie sich auf eine Reise begeben hatte; vorher war es nur eine Fortbewegung im Raum gewesen, eine gewöhnliche, nicht weiter bemerkenswerte Ortsveränderung. Erst der Schlaf schließt das Alte ab und öffnet das Neue, der eine Mensch stirbt, der andere erwacht zum Leben. Dieser schwarze Raum ohne Eigenschaften zwischen den Tagen ist die wahre Reise.«
»Ich dringe durch den Mund ins Innere der Menschen ein. Die Menschen sind innen wie Häuser. … Von innen wirken diese Häuser unbewohnt. … Aber ich weiß, dass ich im Inneren eines Menschen bin. Das erkenne ich an kleinen Einzelheiten. Eine der Korridorwände ist fleischfarben und pulsiert leicht. Manchmal dringt aus der Tiefe ein fernes, gleichmäßiges Rumoren an meine Ohren, manchmal rutscht mein Fuß auf etwas Festem, Geädertem aus.«
»Sie lebten im Schloss, obwohl sie es weder erbaut hatten noch genau kannten, was bei den verschiedenen unerlässlichen Reparaturen besonders deutlich wurde. … Einige von ihnen studierten Philosophie oder Literatur, aber auch nur zu dem Zweck, ihr Leben in diesen paradiesischen Gefilden noch intensiver und voller auskosten zu können. Um Bescheid zu wissen. Um sich eines Ziels oder des Mangels eines solchen klar zu werden. Um sich darüber klar zu werden, wie es sein kann. Und das musste reichen.«
»Ich bin auch in einem Schloss geboren. … Ich stellte mir mein Zuhause immer als etwas Essbares vor. Wahrscheinlich habe ich es einmal aus Versehen wirklich gegessen, denn jetzt steckt es in mir drin, ein mehrstöckiges Gebäude mitten in mir. Wir bewohnen einander. Ich bin in ihm, und es ist in mir, manchmal fühle ich mich wie ein Gast darin, manchmal als Besitzerin. Nachts tritt das Schloss deutlicher hervor, es leuchtet grünlich durch die Dunkelheit. Im Sonnenlicht ist es zu grell, deshalb bleibt das Schloss tagsüber unsichtbar, aber ich fühle es in mir.«
»Es war schön. Man musste nur achtgeben, dass man nicht zu viel sagte und nicht zu laut. Dass man keine Meinung äußerte, nicht bewertete, nicht zu viel hörte, nicht hinschaute. Das war nicht schwer, denn sie hatten ja einander und das Haus und das Klavier und die Blumen im Garten.«
»Von diesem Zeitpunkt an konnten die beiden sich nicht mehr daran erinnern, was sie den ganzen Tag über gemacht hatten. Ein Tag erschien wie der andere. Das Verrinnen der Zeit ließ sich nur an den Wäschehaufen im Badezimmer ablesen.«
»Wie sieht die Welt aus, wenn das Leben nur noch Sehnsucht ist? Sie sieht papieren aus, zerkrümelt zwischen den Fingern und zerfällt. Jede Bewegung betrachtet sich selbst, jeder Gedanke betrachtet sich selbst, jedes Gefühl fängt an und hört nicht auf, und zum Schluss wird der Gegenstand der Sehnsucht selbst papieren und unwirklich. Nur das Sehnen ist wahrhaftig und macht abhängig. Dort zu sein, wo man nicht ist, das zu haben, was man nicht besitzt, jemanden zu berühren, den es nicht gibt. … Vor dieser Sehnsucht kann man nicht fliehen. Man müsste dafür dem eigenen Körper entfliehen, aus sich selbst hinaus. Soll man sich betrinken? Wochenlang schlafen? Sich bis zur Besessenheit in Aktivität verlieren?«
»Mir ist, als hätte ich alle Pullover der Welt schon einmal angehabt.«
Olga Tokarcuk: Taghaus Nachthaus