Deine vierundneunzigjährige Oma lässt sich von Corona nicht aufhalten und sicher nicht das Einkaufen abnehmen, sie hat ja schon ganz andere Krankheiten überlebt. Ich überlege, ob ich meinen Nachbarn anbieten soll, für sie einkaufen zu gehen, aber ihr Sohn wohnt ja auch noch im Haus. Der für heute geplante Besuch meiner Omas wird erst mal auf unbestimmte Zeit verschoben. Also passt mein Lebensstil ganz gut zu den Empfehlungen: Ich bleibe im Bett mit deinem Buch ›Abbitte‹, das mich erst einlullt und dann schrecklich leiden lässt: An einem heißen Sommertag erfindet ein dreizehnjähriges Mädchen eine Geschichte, die zur Lüge wird und mindestens drei Leben zerstört. Jetzt Teil zwei, es ist Krieg. Vom Buch wandert mein Blick in die Nachrichten, die ich sonst so gut zu ignorieren weiß. Eine Deutschlandkarte mit steigenden Zahlen an Infizierten und eigentlich wie immer: Lob für Merkels Ruhe und Tadel für Trumps Ignoranz. Im Postfach regnet es Absagen: Keine Chorproben, kein Klassentreffen, kein Workshoptag zum Wohnprojekt. Irgendwie fühle ich mich erleichtert. Vielleicht doch ganz gut, Dinge noch nicht erledigt zu haben, Urlaubsplanung, Geldanlage, Kinderkriegen. Ob gut, ob schlecht, wer weiß das schon? Ansonsten: Wilde Knutscherei im Stehen (was sich überraschend jugendlich anfühlt) in der Küche, die nun nach fast einem Jahr so richtig eingeweiht ist.