Christina Schmid
Konzeption und Gestaltung

Blindsein

Nach der Chorprobe sitze ich neben Rudolf, der nichts sieht. Wie lernt er mich kennen, wenn ich mich nie richtig vorstelle? Wir sprechen übers Blindsein. Ich erzähle von einem Ausstellungsbesuch mit verbundenen Augen, als Methode, um Kunstvermittlung zu üben. Ich frage ihn, ob er auch in Ausstellungen geht. Manchmal, auf Reisen mit der Familie. Aber was erzeugt die Fantasie für Bilder, wenn man nie welche gesehen hat? Ich spreche über Kunst, er über Physik. Auch er weiß nicht, worin seine Kollegen vertieft sind, ein Leben lang. Ich beschreibe ihm den Nebentisch: Drei Männer, vielleicht Italiener, alle drei in Schwarz gekleidet, jeder in sein Smartphone vertieft. Vor ihnen stehen drei Teller Spaghetti aus dem Parmesan-Rad mit Trüffel, schweigend fangen sie an zu essen. Überhaupt scheint heute Parmesan-Spaghetti-Tag zu sein, an allen Tischen, auch bei uns.