Christina Schmid
Konzeption und Gestaltung

Abenteuer

»Du wirst lachen, aber ich hab Dich heute morgen schon besucht. Nein echt! Heute in aller Frühe ist nämlich etwas sehr Seltsames passiert. Ich habe so gegen Mitternacht angefangen, an einem Layout zu arbeiten. Dann, so gegen halb vier Uhr früh, hab ich ein paar Bier getrunken und dann noch die Flasche Wodka vollends geleert und dazu richtig ausgelassen Musik gehört. War eigentlich cool. Was dann weniger cool war: dass ich irgendwann ein paar Stunden später unter der Treppe im Treppenhaus aufgewacht bin. Ich hatte nur eine Unterhose an und wusste auch gar nicht, wie ich da hingekommen bin. Ich bin zu meiner Wohnungstür gelaufen und hab sie aber verschlossen vorgefunden. Also hab ich mich wieder unter die Treppe verzogen und hab überlegt. Es wäre ja irgendwie peinlich, wenn mich jetzt ein Hausbewohner so antreffen würde, fast nackt ... Ich bin irgendwie auf die fixe Idee gekommen, dass es das beste wäre, zu Dir zu gehen, weil ich dachte, Du könntest mir bestimmt weiterhelfen. Also hab ich mich auf den Weg gemacht, barfuss und in einer weißen Unterhose mit blauen Streifen. Es hat geregnet, aber es war nicht kalt. Und das Komische war, dass mich die meisten Leute, die mir auf dem Weg begegnet sind, gar nicht angesehen haben. Aber ganz normal fanden sie’s bestimmt nicht. Ich bin so zehn vor neun bei Dir angekommen, aber da warst Du leider schon weg. Ich hab noch so anderthalb Stunden vor Deiner Tür gesessen und wusste nicht, ob Du noch kommst. Nachdem ich die Kaserne durchsucht habe nach irgendetwas Nützlichem, hab ich beschlossen, bei Hannes’ WG vorbeizugehen, um mir etwas Geld und ein paar Klamotten zu leihen. Leider war er nicht da, sein Mitbewohner auch nicht. Anschließend bin ich noch mal zu Dir, aber Du warst immer noch nicht zuhause. Also bin ich in das Hotel neben der Kaserne gelaufen und hab mir ein Taxi kommen lassen und den Schlüsseldienst gerufen. Der Taxifahrer fand das alles ziemlich komisch, hat mir aber geglaubt. Und er hat die Heizung voll aufgedreht, netter hilfsbereiter Typ. Daheim bin ich meiner Nachbarin begegnet und sie war ganz bestürzt, dass ich hier so halbnackt rumhänge. Ich hab sie gebeten, den Trockenraum aufzuschließen, dass ich mir da ne Jogginghose holen kann. Hab ich dann auch gemacht. Und dann hab ich drei Stunden auf dem Parkplatz auf den Schlüsseldienst gewartet. Schließlich hab ich mich entschieden, einen anderen Notöffnungsdienst anzurufen. Der ist dann vor einer halben Stunde gekommen und hat meine Wohnungstür aufgebrochen. Ich bin so froh, jetzt wieder hier zu sein. Es war echt ne Horrorshow und manchmal wars auch lustig, ich bin mit meiner Unterhose durch den Regen gelaufen und hab gelacht, und manchmal haben die Leute, die mir begegnet sind, auch gelacht, aber irgendwie war es extrem bedrohlich, so ausgeliefert und mittellos zu sein. Ich bin so froh, dass es vorbei ist. Und ich bin total dehydriert, ausgehungert und müde, aber das musste ich Dir einfach zuerst erzählen. Und jetzt werde ich mich wieder herstellen.«