»Das Buch leuchtet nicht im Dunkeln, wir waren extra im Schrank.«
»Bist du sauer auf das Buch?«
»Vergiss deine Rakete nicht.«
»Bei meinem Mann ist das genauso.«
»Ich werde Ihnen eine Bestätigung der Eskalation senden.«
Und die Sonne streichelt mein Gesicht, der Wind die Haare.
»Die dürfen das einfach so bei jedem!«
Lio: Kleine Leben.
Große Leben.
Viele Leben!
Lio: Mehr Leben!
Wo bist du Leben?
Kein Leben.
Als Genre: Sehr offen sein, eins werden mit dem Text, noch näher ran als im Gedankenspiel des Essays.
Erzieherin stellt fest:
Pablo liebt Maila, Maila liebt Lio und Lio liebt die Autos.
Wir haben den Tatortkommissar gesehen und ein paar Leute, die als Passanten verkleidet waren.
Man bekommt ein unbeschriebenes Blatt geschenkt und lässt das Blatt sich selbst beschreiben. Das Blatt nennt sich Meo. Um dem Amt zu beweisen, dass der Zweitname Thoje tatsächlich existiert, komponieren Thorsten und Jenny kurzerhand einem wahrscheinlich norwegischen Musiker ein Notenblatt – überzeugt.
Seit vier Jahren sind Vater und Sohn im Wohnmobil unterwegs, 66.000 Kilometer, davon 55.000 in Deutschland, immer abwechselnd entscheiden sie, wohin: Links, rechts, wieder links, da sieht es schön aus, Meo dirigiert sie zielsicher zum schönsten Stellplatz an der Lorelei.
Und Jenny? Superöko, acht Jahre vegan, Lotusgeburt, lange gestillt, dann über Nacht nicht mehr, wie Meo auch über Nacht aufgehört hat, Zucker zu essen und YouTube-Videos zu schauen, will er nicht mehr. Was ist passiert, will ich fragen, Halbwaisenrente hat er erwähnt. Später frage ich – Krebs in der Brust und schon überall.
Der Wohnmobilstellplatz ist belegt, doch sie haben ein Zelt – als Corona kam, für den Ernstfall gekauft, ein großes Tipi in Beige, von Meo ausgesucht. Zum Sonnenuntergang setze ich mich als Gartenzwerg in den Vorgarten, dort grast Meos imaginäre Kuh, die bei ihm ist, seit sie im aufgeräumten Haus der Großeltern mit Spielzeugverbot kistenweise imaginäre Spielsachen ausgekippt haben.
– Meo: Papa, wir brauchen noch meine Schlafsachen!
– Thorsten: Hab ich natürlich alles dabei, mein Sohn, ich bin doch Eventmanager.
– Gartenzwerg: Meo, dein ganzes Leben ist ein Event.
»… selbst stören mich die Einschlüsse nicht, eher die Fläche, die schnell markiert und irgendwie wie weg von den Händen flieht.«
Jemand sprach heute von einem Phänomen namens Stillheimer, wie schrecklich. Dann jongliere ich mal weiter mit meiner Aufmerksamkeitsspanne von drei Minuten.
Ein letztes Aufbäumen der Prinzessin, bevor alle Aufmerksamkeit der nächsten Generation gilt.
Im Vorbeigehen höre ich sein »Strenggenommen« und mein Puls beschleunigt sich, als wäre er noch immer mein Vermieter.
So lebendig sind wir nie wieder: Uns verdoppeln, das tun wir nie mehr.
Zu zweit im Homeoffice, eigentlich ganz nett. »Deinen Geschmack möchte ich mal haben«, knurrt Matthias am Telefon. Er schreibt an einer Theaterkritik über das, was uns hier gespielt wird.
»Ich muss zugeben, ich bin ein großer Nebelmaschinen-Fan.«
Gegenwind beim Sonntagsspaziergang auf Abstand. Sie fragt, warum ich mich nackt ausziehe in aller Öffentlichkeit. Ja, was ist das nur mit dem Veröffentlichen, warum mache ich das? Mutig, meinen so manche, sie könnten das nicht. Ich kann nicht ohne. Ungefiltert und nah mag ich es. Noch suche ich mein Schreiben, mache Fingerübungen, vielleicht bleibt es dabei. Teil der Suche ist der Wunsch nach Resonanz, darum setze ich die Pflänzchen aus im kühlen Frühlingswind. Ganz warm wird es, wenn das Literaturhaus schreibt: Welch schöne Texte, der Ton ist so kurz und einfach und doch so fein.
Sie sagt, ich solle mir gut überlegen, ob ich wirklich nochmal das Gleiche machen möchte in blau und grün. Ich will zurück zu den Pflänzchen im Gewächshaus, in die Wärme ohne Gegenwind.
Guten Morgen Traumfrau, schreibst du und damit ist der Traum, den ich schon im Halbschlaf festhalten wollte, endgültig weg. Natürlich meinst du meine Träume. Und doch mag ich die Doppeldeutigkeit unserer Korrespondenz – ein zielloses Unterfangen zweier Menschen, die doch nie zueinander finden werden.
Am liebsten am Boden, am Verkriechen und Verstecken. Meinen Tanzbegriff ausweiten aufs Liegen.
»Wer hat jemals was von senkrecht gesagt?«
Klein und naiv fühle ich mich nach dem Telefonat mit diesem lauten Mann, der mir rät, zu zivilem Ungehorsam anzustiften.
Besuch von Anastasia, die uns Fotos zeigt von ihrem Haus auf Lefkada. Da wollen wir hin, da gehen wir hin, im Mai! Sie zeigt uns ihre Strände und eine versteckte Bucht mit weißen Felsen, weißem Sand und türkisblauem Wasser. Dorthin führt ein versteckter Pfad mit 300 Stufen. Nun ja, wohl nicht mehr ganz so versteckt, Google kennt ihn schon. Am höchsten Punkt der Insel eine kleine Kirche mit Rundblick, im Tal eine Flusswanderung mit Wasserfall. Ich träume mich schon mal dorthin, ans Ionische Meer. Io, Tochter des Flussgottes Inachos und eine der Geliebten des Gottes Zeus.
»Also die Zitrone beim nächsten Mal vorsichtiger dosieren.«
Immer.
»Beim Cocktail nicht.«
Das ist aber kein Cocktail, das ist ein Salat.
»Und wenn ich Cocktailtomaten reingemacht hätte?«
Und dann fragt er:
»Wovon leben Sie eigentlich?«
Luft und Liebe, was sonst.
Gegenüber im Zug Vater und Tochter, sie futtert Bifi, er M&Ms. Sie schaut Videos und streckt ihm die Hand hin: »Blau.« Sie wird gefüttert, bis die Lippen blau sind. Dann ein genervter Blick ins karierte Heft. Sonntagabend, ich kenne das Gefühl. Der Vater sucht ein Erklärvideo über Nährstoffe. »Wenn schon Video gucken, dann was Sinnvolles.«
»Sonntag ist Nordpol für mich. Unerreichbar. Von einer dicken Eisschicht umgeben. Abweisend und kühl.«
»Kann es sein, dass wir heute das selbe Hemd tragen?«
»Nein, denn sonst stünde einer von uns oben ohne da.«
»Das sind Erwachsenenfehler – weißt du, was ich meine?«
Ich höre einen Podcast zu Authentizität, während ich Wäsche zusammenlege und die Küche schrubbe. Und dann noch einen über häusliche Gewalt – nirgendwo ist Frau gefährdeter, Mann übrigens auch.
»Tropft dein Cembalo eigentlich?«
Nichtstun. Außer auf dem Bett liegen und mit den Zehen wackeln. Und den Gedanken dabei zusehen, was sie doch für Akrobaten sind.
Er sagt, wir machen die Kunst nicht für uns. Wir übernehmen Aufgaben, die uns finden und wenn wir sie annehmen, werden sie zum Auftrag, dessen Umsetzung Disziplin erfordert. Dafür nicht entlohnt zu werden, leiden zu müssen, sei ein großes Missverständnis in der Gesellschaft. Dazu gehört, unsere Ergebnisse zu veröffentlichen, sie in Resonanz zu bringen mit anderen Menschen.
Jedes Jahr sauge ich seine Sätze auf, als wären sie die Wahrheit. Plötzlich bin ich wach und da, vom Sommer warm und offen und empfänglich für derlei Welterklärung.
Es fehlt nichts.
Im Naturhoroskop bin ich ein Apfelbaum.
Im Auto ein aufgekratzter Matthias, der von seiner Jagdausbildung berichtet und von seiner Zeit als Soldat. Davon kann auch Thomas erzählen: Er war Panzerfahrer, während der Rest der Welt Sonntagsspaziergang machte, in bunten Kleidern.
Wer morgens zerknittert aufsteht, hat den ganzen Tag, um sich zu entfalten.
Telenovela zu halb geschenkten Johannisbeeren.
So vergnügt und gut gelaunt wie du bist, könntest du jeden Moment einschlafen.
Nichts aufschieben, das dir wichtig ist.
Endlich mal nicht am Schreibtisch, wenn nebenan der Gong zur Tagesschau ertönt und mittags, pünktlich um halb 12 Uhr, das Geklapper des Bestecks auf Tellern. Wir sind uns so nah und sehen uns doch nur alle paar Wochen mal im Treppenhaus.
Zum Busfahrer:
»Werden Sie am Bahnhof zur 76?«
Beim Wahlsonntagsspaziergang kommt mir eine grinsende Familie entgegen. Der Kurze hat wohl gerade eine Frage gestellt, daraufhin der Vater: »Ja nee, man kann tatsächlich auch CDU wählen.«
»Weißt du eigentlich, welches Glück du hast, dass du so leben und arbeiten kannst? Nimm es an.
Es geht um Kraft, Kraft für den eigenen Weg, für die eigene Arbeit, nach der niemand fragt. Du musst dich selbst feiern, dich toll finden.
Du strebst nach dem scheinbar Unerreichbaren. Am Anfang machst du riesige Schritte darauf zu, dann werden die Schritte kleiner und schwieriger – feiere jeden kleinen Schritt, auch die Skizzen und Zwischenstände.
Kinder, klar, die kosten 20 Jahre. Aber sie stärken dich, diese 20 Jahre.
Was ist das für Kunst, die du machst? Was daran ist Kunst? Was macht dich zur Künstlerin? Was brauchst du noch, um Kunst zu machen und darin zu wachsen? Ausstellungen, Veröffentlichungen, Wahrnehmung, Diskussion und stärkende Ateliergespräche, wie dieses hier.
Lass den Eltern ihre Sorgen, es sind ihre, nicht deine. Du existierst unabhängig von Ihnen, dein Leben hat einen höheren Sinn, wie jedes Leben.
Da ist etwas, dass nur dir gegeben wurde und das solltest du nutzen, annehmen, weiterentwickeln. Das war schon im Kindergarten da. Du bist Künstlerin. Und die wird jetzt wach und groß. Geh los. Vergleiche dich nicht. Geh deinen Weg.«
Lieber mit Justyna am Feuer, lieber neue Leute mit Geschichten von einem Tag in Polen mit drei Heiratsanträgen in einer Familie, einer davon auf einem Ameisenhaufen. Ja! Und ein jubelnder Sprung in den Fluss, auf der Flucht vor den Ameisen.
»Kunst macht genauso müde wie andere Jobs, oder noch viel müder, weil nie klar sein wird, wieso man das tut. Das muss man selbst wissen.«
How long did you drive from there?
How long will you stay here?
When is the opening?
When were you here last year?
How many years have you lived there?
When will you go back home?
When do you get up in the morning?
At which time do you start working?
How many people work there?
How old are you?
Since when do you live here?
What time is it?
Alexandra: »The good thing about you is that you are humble.«
Clara erzählt mir von ihren Eltern und dem Haus in Paris, in dem sie aufgewachsen ist. Sie zeichnet und erzählt es so plastisch, dass ich mich fühle mich wie in einem Märchen. Das Haus gleicht einem Puzzle: In der Wohnung oben links hat die Mutter früher gewohnt. Als der Vater dazu kam, wurde es zu klein für zwei, also nahmen sie die Werkstatt im Erdgeschoss dazu und bauten sie um. Später kam auch die zweite Etage dazu. Der Parkplatz wurde zum Garten, über den Hof schleicht Claras Katze. Häuser der Kindheit – ich will mehr davon!
»Das Leben, dieser Luxusdampfer.«
Sagt: »EU, Schuld, Hitler, Stalin, Putin, Kretschmann, Italiener, Türken, seit 3 Generationen, Erdogan, Es hat kei Wert …«
»Punk. Ich will Punk machen. Punk ist Alkohol, Sex, Drogen und Politik.«
Im Brummen der Flugzeugmotoren meine ich den Gesang meines Chores zu hören. Ein unendlich gedehntes Prosit der Gemütlichkeit in allen Tonlagen zugleich.
Ich lese mit einer freundlichen Stimme im Ohr, während der Rest der Welt brüllt. Egoismus und Kälte schlagen uns im Flugzeug entgegen, äußerst nett hingegen der in Costa Rica lebende und in Deutschland geborene Engländer neben uns. Er weiß, was von amerikanischen Airlines zu erwarten ist: Keine Filme, kein Essen, es sei denn du zahlst. Nicht mal die Stewardess muss mehr freundlich sein. Immerhin organisiert sie uns dann doch zwei Plätze nebeneinander mit den Worten: »Kids, there are two seats in 34, A and B.« – Kids, nice. Jung und verliebt, immer noch, auch wenn du Pampers trägst und Apfelmus schlürfst – ohne dich wär alles nichts.
Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld. Ihr Anruf ist uns wichtig. Sie werden zum nächsten freien Mitarbeiter durchgestellt. Es befinden sich noch immer alle Berater im Dialog. Gerne können Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen. Zur Zeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch. Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld. Einen Augenblick. Ihr Augenblick ist uns wichtig. Haben Sie noch Zeit? Noch einmal einen Augenblick? Haben Sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal Zeit? Sie werden es alle versuchen. Zur Zeit, zu einem späteren Zeitpunkt, zum nächsten freien Zeitpunkt. Sie sind uns wichtig. Alle Mitarbeiter haben Sie gerne. Noch immer. Ihr Anruf, ihr Augenblick Geduld, Zeit, alle Zeit ist uns wichtig. Unsere Mitarbeiter sind im Augenblick. Alle. Immer. Noch einmal: Geduld ist wichtig im Gespräch, im freien Dialog. Gerne werden Sie zur Zeit durchgestellt. Noch einen Augenblick. Bitte. Sie haben noch Zeit. Im nächsten freien Augenblick befinden sie sich im Zeitpunkt. Haben Sie noch einen Augenblick Geduld.
Jede Sammlung kann als gescheitertes Projekt gesehen werden. Je größer die Sammlung, desto größer die Lücken.
Die Planung ist nicht dazu da, eingehalten zu werden, sondern dazu, zu wissen, wovon man abweicht.
Kunst interessiert keinen. Nur durch äußere Umstände, weil sich einer ein Ohr abgeschnitten hat.
»Murad, die Million ist mir wichtiger als die paar Namen. Glaub mir, es gibt nichts zu verstecken, die Daten kommen heute noch, habe ich dir doch gesagt, Murad. Ich bin unterwegs, gerade über die Grenze, mach dir keine Sorgen.«
Im Zug lausche ich drei junge Frauen, sie besprechen die Liebe ihrer Eltern. Der Vibrator als Weihnachtsgeschenk für die Mutter war zu teuer, also doch eine Flasche Champagner. Der Vater der anderen hat auf einer Geschäftsreise eine Frau abgeschleppt, die Mutter daraufhin einen tollen Freund gefunden. Sie selbst wohnt mit ihrem Exfreund zusammen und … ach bei den Themen kann die dritte nicht mitreden. Seit sechs Jahren ist sie in einer geheimen Beziehung, das ganze Dorf weiß Bescheid, nur die Eltern dürfen davon nichts erfahren. Liebe gibt es nur zwischen Mutter und Tochter in der Familie – alles andere geht vorbei. Tattoos bleiben: Das elbische Zeichen für Seele oder doch lieber eine weibliche Schnake auf dem Rücken? In der Küche stapelt sich das Geschirr, bis es schimmelt – er spült. Der Mitbewohner kifft von morgens bis abends. Dann doch lieber mit dem Exfreund wohnen.
Du verstopfst alle meine Wahrnehmungsleitungen.
www
welt weites warten
Paul Müller
»Irgendwas müssen wir machen!«
Das Nützliche mit dem Praktischen verbinden. Oder doch lieber das Angenehme mit dem Schönen.
… zusammen bleiben … aber … meine Liebe … war ich früher zärtlicher? Soll ich wieder liebevoller sein? … Aber … wie war ich denn am Anfang, als wir uns kennengelernt haben? … Aber ich liebe dich … bin ich dir zu … ich raste halt manchmal aus … aber Mona … ich kann mich ändern … sag mir, wie willst du’s? Wie war es mit den Anderen? Wie war es am Anfang? Wie willst du’s? Ich kann mich ändern, wirklich ich …
ealistisch nett
»Vorne ist wenn wir am Ende sind besser.«
nitnatsnoc
Es gibt keine absoluten Aussagen!
Sie sagt es. Sie sagt es zweimal, weil sie es ernst meint.
and she’s so busy being free
Zwei Sitzreihen weiter vorne führt ein Mann aufgebracht Selbstgespräche. Kurz vor dem Aussteigen dreht er sich spontan zu mir um, sieht mir mit stechendem Blick in die Augen und verkündet mit theatralischer Stimme: »Renate Farn hat ihr liebstes Spielzeug, an dem sie ihre perversesten Fantasien ausleben konnte, verloren! Nämlich mich. Kennen Sie Renate Farn? Nein? Seien Sie froh!«
Die Bustür öffnet sich und der Mann schreitet mit energischen Schritten in die Abenddämmerung.
»Lieber mit dem Boden auf den Füßen und mit dem Kopf in der Luft.«
»Du wirst lachen, aber ich hab Dich heute morgen schon besucht. Nein echt! Heute in aller Frühe ist nämlich etwas sehr Seltsames passiert. Ich habe so gegen Mitternacht angefangen, an einem Layout zu arbeiten. Dann, so gegen halb vier Uhr früh, hab ich ein paar Bier getrunken und dann noch die Flasche Wodka vollends geleert und dazu richtig ausgelassen Musik gehört. War eigentlich cool. Was dann weniger cool war: dass ich irgendwann ein paar Stunden später unter der Treppe im Treppenhaus aufgewacht bin. Ich hatte nur eine Unterhose an und wusste auch gar nicht, wie ich da hingekommen bin. Ich bin zu meiner Wohnungstür gelaufen und hab sie aber verschlossen vorgefunden. Also hab ich mich wieder unter die Treppe verzogen und hab überlegt. Es wäre ja irgendwie peinlich, wenn mich jetzt ein Hausbewohner so antreffen würde, fast nackt ... Ich bin irgendwie auf die fixe Idee gekommen, dass es das beste wäre, zu Dir zu gehen, weil ich dachte, Du könntest mir bestimmt weiterhelfen. Also hab ich mich auf den Weg gemacht, barfuss und in einer weißen Unterhose mit blauen Streifen. Es hat geregnet, aber es war nicht kalt. Und das Komische war, dass mich die meisten Leute, die mir auf dem Weg begegnet sind, gar nicht angesehen haben. Aber ganz normal fanden sie’s bestimmt nicht. Ich bin so zehn vor neun bei Dir angekommen, aber da warst Du leider schon weg. Ich hab noch so anderthalb Stunden vor Deiner Tür gesessen und wusste nicht, ob Du noch kommst. Nachdem ich die Kaserne durchsucht habe nach irgendetwas Nützlichem, hab ich beschlossen, bei Hannes’ WG vorbeizugehen, um mir etwas Geld und ein paar Klamotten zu leihen. Leider war er nicht da, sein Mitbewohner auch nicht. Anschließend bin ich noch mal zu Dir, aber Du warst immer noch nicht zuhause. Also bin ich in das Hotel neben der Kaserne gelaufen und hab mir ein Taxi kommen lassen und den Schlüsseldienst gerufen. Der Taxifahrer fand das alles ziemlich komisch, hat mir aber geglaubt. Und er hat die Heizung voll aufgedreht, netter hilfsbereiter Typ. Daheim bin ich meiner Nachbarin begegnet und sie war ganz bestürzt, dass ich hier so halbnackt rumhänge. Ich hab sie gebeten, den Trockenraum aufzuschließen, dass ich mir da ne Jogginghose holen kann. Hab ich dann auch gemacht. Und dann hab ich drei Stunden auf dem Parkplatz auf den Schlüsseldienst gewartet. Schließlich hab ich mich entschieden, einen anderen Notöffnungsdienst anzurufen. Der ist dann vor einer halben Stunde gekommen und hat meine Wohnungstür aufgebrochen. Ich bin so froh, jetzt wieder hier zu sein. Es war echt ne Horrorshow und manchmal wars auch lustig, ich bin mit meiner Unterhose durch den Regen gelaufen und hab gelacht, und manchmal haben die Leute, die mir begegnet sind, auch gelacht, aber irgendwie war es extrem bedrohlich, so ausgeliefert und mittellos zu sein. Ich bin so froh, dass es vorbei ist. Und ich bin total dehydriert, ausgehungert und müde, aber das musste ich Dir einfach zuerst erzählen. Und jetzt werde ich mich wieder herstellen.«
»Bist du dir bewusst darüber, dass Du ein reißender Strom sein kannst?«
»Und dann ist es immer so, dass meine Eltern und ich uns erst wieder aneinander gewöhnen müssen. Das ist so ne Mischung aus Euphorie und Empörung auf beiden Seiten, schwer zu beschreiben.«