Christina Schmid
Konzeption und Gestaltung

Spiegelblind

Im ständigen Abgleich mit dem Ich von Heute und Gestern und allen anderen. Mindestens täglich denke ich über mein Geschlecht nach und über mein Alter. Zeit im Zeitgeist. Wie alt ich mich fühle. Welche Rolle ich spiele. Als Frau. Mein Frausein so zu durchdenken macht den stets unkomplizierten Umgang mit Männern befremdlich, die Unterschiede überhaupt zu benennen ist dir fremd. Ich suche und frage und schaue zu, bin schläfrig und desinteressiert und desillusioniert. Ich bleibe stehen, während die Zeit an mir vorbeirast. Die Zeit steht still und ich bin eine alte Lady, müde und voller Geschichten. Meine Augen sind satt und noch habe ich nichts verstanden. In mir sitzt ein Kind – neugierig, ungeduldig, hochnäsig, besserwisserisch, überzeugt, jähzornig, pubertierend. Und eine müde Frau – erschöpft, ausgebrannt und leer. Und eine fürsorgliche Mutter. Und eine Großmutter – ruhig, gelassen und mit der Welt im Reinen, der alten zumindest, denn all das Neue geht zu schnell. Ich bin langsam und bremse euch aus. Verzeiht, dass ich euch eure Jugend stehle, weil mich das alles nicht mehr berührt. Ich sehe nicht hin und habe doch alles schon mal gesehen.

Mein Gesicht ist älter geworden. Aus dem Spiegel blickt mich eine sachliche, freundliche, fast selbstbewusste junge Frau an. Ich mag sie und möchte das Bild mitnehmen, doch ich kann es mir nicht merken. Die Blicke von Fremden prallen auf die Aura meiner inneren Leere und ich vergesse, was sie sehen. Ich wäre lieber unsichtbar, nicht durchsichtig und verblasst wie eine verkleinerte, unscharf verwischte schwarz-weiß-Kopie meiner selbst. Habe ich zu oft in den Spiegel geschaut? Oder waren es doch zu viele Fotografien, die mich – nein, meine Hülle festhalten und in Pixel und Punkt bannen wollten?