Christina Schmid
Konzeption und Gestaltung

Linie#14

Linie 9570 – meine letzte Linie an einem der letzten Tage des Sommers. Die Hitzewelle schien endlos, heute dann Kälteeinbruch und Ratlosigkeit vor dem Kleiderschrank. Was trägt man außer Sommerkleider und Sandalen? Wer bin ich, wenn es kühler ist? In den Schaufenstern schon Herbstfarben, dazwischen demonstratives Gelb. Vielleicht ein gelber Regenmantel oder gelbe Gummistiefel? Lieber sonnengelbe Sandalen, ich bin noch nicht so weit.

Nun sitze ich also im Zug zu dir nach Straßburg. Noch steht er. Gegenüber fragt ein Vater seine Tochter: Bist du traurig? Draußen winken die sehr kleine Mutter und der sehr große Bruder, bis der Zug losrollt. Sie verdrückt ein paar Tränen, kramt nach ihrem Pass und zählt die Namen ihrer Freundinnen auf, die sie in Israel besuchen wollen.

Der Zug beschleunigt auf 274 Kilometer pro Stunde, er könnte mehr als doppelt so schnell.

Hunderte Kilometer habe ich in den letzten Monaten im öffentlichen Linienverkehr zurückgelegt, meist sitzend, selten stehend, einmal kauernd (das war nett). Im Dazwischen finde ich plötzlich Zeit, um hinzuschauen und zuzuhören. Man kommt Fremden recht nah, wenn man so unterwegs ist. Manche reisen in ihrem Kokon aus Musik, Film, Arbeit und Lesestoff. Andere blenden völlig aus, dass sie nicht unter sich sind und erzählen offen und laut aus ihrem Leben, manchmal schreibe ich mit.

Sie sieht so traurig aus mit ihren glänzenden dunklen Augen. Der Vater telefoniert leise auf Hebräisch. Auswandern, wie das wohl ist? Eine Linie unterbrechen, um woanders neu anzusetzen.