»Wie schmerzlich war es, nur deshalb geliebt zu werden, weil man existierte. Was für eine Unruhe brachte eine solche Liebe mit sich. Wie sich die Gedanken vor Ungläubigkeit verwirrten, wie das Herz vom beschleunigten Klopfen anschwoll. Wie die Welt in die Ferne rückte und ihre Greifbarkeit verlor.«
»Auf Reisen trifft man letzten Endes immer auf sich selbst, als wäre man selbst sein Reiseziel. … Bei sich zu Hause hört man auf, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und dann sieht man am meisten.«
»Und erst als sie aufwachte, begriff sie, dass sie sich auf eine Reise begeben hatte; vorher war es nur eine Fortbewegung im Raum gewesen, eine gewöhnliche, nicht weiter bemerkenswerte Ortsveränderung. Erst der Schlaf schließt das Alte ab und öffnet das Neue, der eine Mensch stirbt, der andere erwacht zum Leben. Dieser schwarze Raum ohne Eigenschaften zwischen den Tagen ist die wahre Reise.«
»Ich dringe durch den Mund ins Innere der Menschen ein. Die Menschen sind innen wie Häuser. … Von innen wirken diese Häuser unbewohnt. … Aber ich weiß, dass ich im Inneren eines Menschen bin. Das erkenne ich an kleinen Einzelheiten. Eine der Korridorwände ist fleischfarben und pulsiert leicht. Manchmal dringt aus der Tiefe ein fernes, gleichmäßiges Rumoren an meine Ohren, manchmal rutscht mein Fuß auf etwas Festem, Geädertem aus.«
»Sie lebten im Schloss, obwohl sie es weder erbaut hatten noch genau kannten, was bei den verschiedenen unerlässlichen Reparaturen besonders deutlich wurde. … Einige von ihnen studierten Philosophie oder Literatur, aber auch nur zu dem Zweck, ihr Leben in diesen paradiesischen Gefilden noch intensiver und voller auskosten zu können. Um Bescheid zu wissen. Um sich eines Ziels oder des Mangels eines solchen klar zu werden. Um sich darüber klar zu werden, wie es sein kann. Und das musste reichen.«
»Ich bin auch in einem Schloss geboren. … Ich stellte mir mein Zuhause immer als etwas Essbares vor. Wahrscheinlich habe ich es einmal aus Versehen wirklich gegessen, denn jetzt steckt es in mir drin, ein mehrstöckiges Gebäude mitten in mir. Wir bewohnen einander. Ich bin in ihm, und es ist in mir, manchmal fühle ich mich wie ein Gast darin, manchmal als Besitzerin. Nachts tritt das Schloss deutlicher hervor, es leuchtet grünlich durch die Dunkelheit. Im Sonnenlicht ist es zu grell, deshalb bleibt das Schloss tagsüber unsichtbar, aber ich fühle es in mir.«
»Es war schön. Man musste nur achtgeben, dass man nicht zu viel sagte und nicht zu laut. Dass man keine Meinung äußerte, nicht bewertete, nicht zu viel hörte, nicht hinschaute. Das war nicht schwer, denn sie hatten ja einander und das Haus und das Klavier und die Blumen im Garten.«
»Von diesem Zeitpunkt an konnten die beiden sich nicht mehr daran erinnern, was sie den ganzen Tag über gemacht hatten. Ein Tag erschien wie der andere. Das Verrinnen der Zeit ließ sich nur an den Wäschehaufen im Badezimmer ablesen.«
»Wie sieht die Welt aus, wenn das Leben nur noch Sehnsucht ist? Sie sieht papieren aus, zerkrümelt zwischen den Fingern und zerfällt. Jede Bewegung betrachtet sich selbst, jeder Gedanke betrachtet sich selbst, jedes Gefühl fängt an und hört nicht auf, und zum Schluss wird der Gegenstand der Sehnsucht selbst papieren und unwirklich. Nur das Sehnen ist wahrhaftig und macht abhängig. Dort zu sein, wo man nicht ist, das zu haben, was man nicht besitzt, jemanden zu berühren, den es nicht gibt. … Vor dieser Sehnsucht kann man nicht fliehen. Man müsste dafür dem eigenen Körper entfliehen, aus sich selbst hinaus. Soll man sich betrinken? Wochenlang schlafen? Sich bis zur Besessenheit in Aktivität verlieren?«
»Mir ist, als hätte ich alle Pullover der Welt schon einmal angehabt.«
Olga Tokarcuk: Taghaus Nachthaus
»Für mich hat so ein Notizbuch den Vorteil, dass es mich immer daran erinnert, wozu ich auf Erden bin – um von Dingen Notiz zu nehmen.«
Richard Ford
»Die Momente zwischen den Lesenden und Schreibenden sind Geschenke, deren Schönheit in ihrer Flüchtigkeit besteht. All das sagt vor allem eins: dass wir als Schreibende vielleicht gar nicht so genau wissen, was wir tun.«
Daniel Schreiber
»Schlussendlich ist ein schönes Buch vor allen Dingen eine perfekte Lesemaschine (…); und es ist gleichzeitig ein Kunstgegenstand, ein Ding, aber eines mit Persönlichkeit, das die Zeichen eines eigenen Denkens trägt.«
Paul Valéry 1926
»Ein wichtiger Begriff in der Reisepsychologie ist das Begehren, denn es verleiht dem menschlichen Wesen Bewegung und Richtung zugleich – es weckt die Hingabe an etwas. Das Begehren an sich ist leer, das heißt, es weist nur die Richtung, aber nicht das Ziel, das Ziel nämlich bleibt immer phantasmagorisch und unklar, je näher man ihm kommt, desto rätselhafter wird es. Das Ziel lässt sich unter keinen Umständen erreichen, man kann auch nie das Begehren damit stillen.«
»Das, was mich beleidigt, lösche ich aus meinen Landkarten. Orte, in denen ich gestolpert und gefallen bin, wo man mich geschlagen, mir Leid zugefügt hat, wo etwas mir wehgetan hat, die hören auf, für mich zu existieren. Auf diesem Wege habe ich mehrere Großstädte und eine Provinz wegradiert. Vielleicht werde ich eines Tages ein ganzes Land wegradieren. Die Landkarten nehmen das verständnisvoll hin; sie sehnen sich nach weißen Flecken, das ist ihre glückliche Kindheit.«
»Ist es gut, dass ich erzähle? Wäre es nicht besser, den Verstand mit einer Klammer zu bündeln, die Zügel straff zu ziehen und mich nicht in Geschichten auszudrücken, sondern mit einem schlichten Vortrag, wo ein Gedanke mit jedem Satz klarer Gestalt annimmt und in den folgenden Absätzen an andere Gedanken geheftet wird? … Doch ich lasse mich auf die Rolle der Geburtshelferin ein, der Gärtnerin, deren Verdienst höchstens das Säen ist und anschließend das langweilige Unkrautjäten. Erzählungen haben ihre eigene Trägheit, die sich nie ganz unter Kontrolle bringen lässt. Sie brauchen Leute wie mich, die unsicher sind, unentschieden, leicht an der Nase herumzuführen. Naive.«
»In der Nacht steigt die Hölle über der Welt auf. Zuerst verzerrt sie den Raum, macht alles enger, massiver, unbeweglicher. Einzelheiten verschwinden, Gegenstände verlieren ihr Gesicht, werden massig und unscharf, wie merkwürdig, dass man tagsüber von ihnen sagen kann, sie seien ›schön‹ oder ›nützlich‹; jetzt erinnern sie an unförmige Klumpen, deren Zweck schwer zu erraten ist. … Die Nacht gibt der Welt ihr ursprüngliches natürliches Aussehen zurück, sie erfindet nichts; der Tag ist Extravaganz, das Licht – nur eine kleine Ausnahme, ein Versehen, eine Störung der Ordnung. In Wirklichkeit ist Die Welt dunkel, fast schwarz. Bewegungslos und kalt.«
»Lasst stehen und liegen, was ihr besitzt, verlasst euren Grund und Boden und setzt euch in Bewegung. Denn alles, was seinen festen Platz in der Welt hat, jeder Staat, jede Kirche und Regierung, alles, was in dieser Hölle seine Form behalten hat, ist ihm zu Diensten. Alles, was bestimmt ist, was von-hier-bis-da ist, was in Rubriken erfasst, in Registern verzeichnet, nummeriert, nachgewiesen, beschworen ist; alles, was angehäuft, zur Schau gestellt und etikettiert ist. Alles, was festhält wie Häuser, Sessel, Betten, Familie, Erde, Saat, Pflanzung, Pflege des Wachsenden. Planen, Warten auf Ergebnisse, das Erstellen von Plänen, Hüten von Ordnung. Deshalb entwöhne deine Kinder, wenn du sie schon achtloserweise geboren hast, und mach dich auf den Weg. Bestatte deine Eltern, da sie dich schon unachtsamerweise haben werden lassen, und geh.«
»Sie halten sich an den Händen, es ist die Zeit der ersten Küsse, die man nicht anders als seltsam bezeichnen kann.«
»Eine Stunde bleibe ich sitzen, nicht länger. Ich sehe die Leute, die aus dem Fahrstuhl springen und zu einer Verabredung eilen, diese von Geburt an Verspäteten, die manchmal vor lauter Hast in der Drehtür stecken bleiben wie in einer Mühle, die sie gleich zu Staub zermahlen wird. Ich sehe die Schlurfenden, die die Füße nachziehen, sie zaudern vor jeder Bewegung. Frauen, die auf Männer warten, Männer, die auf Frauen warten.«
»Die Bibliothek steht am Fluss, auf diesen schaut sie, das ist ein Fehler. Bücher muss man hochgelegen aufbewahren. Als die Sonne schon herauskam und das Wasser fiel, legten die Mitarbeiter der Bibliothek die Bücher zum Trocknen aus. Aufgefächert stellten sie sie auf den Boden, es sind Hunderte, Tausende. Geduldig ziehen sie die Seiten auseinander, damit die einzelnen Sätze und Worte trocknen können – sie öffnen die Bände zur Sonne hin, die Sonne soll lesen.«
»Kairos, der immer an dem Punkt wirkt, wo die lineare Zeit der Menschen und die zyklische Zeit der Götter sich schneiden. Und auch an dem Punkt, wo Ort und Zeit sich schneiden, in dem Moment, der sich kurz öffnet, um diese eine, eigene unwiederholbare Möglichkeit stattfinden zu lassen. Der Punkt, an dem die aus dem Nirgendwo ins Nirgendwo laufende Gerade einen Augenblick den Kreis berührt.«
»Wir, die Aufschreibenden sind ja zu vielen. Wir lassen uns nicht anmerken, dass wir einander betrachten, wir heben den Blick nicht von unseren Schuhen. Wir werden uns gegenseitig aufschreiben, das ist die sicherste Form der Kommunikation, wir werden einander in Buchstaben und Initialen verwandeln und auf den Seiten der Notizbücher verewigen, wir werden uns plastinieren, ins Formalin der Sätze versenken.«
»Im Lächeln der Stewardessen verbirgt sich, wie uns scheint, ein Versprechen, dass wir vielleicht Neugeborene werden, diesmal zur rechten Zeit am rechten Ort.«
In Griechenland mit Olga Tokarczuk: Unrast
Der Wille, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren.
Liebe ist, was Liebe tut.
Eine Kombination aus Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe und Vertrauen.
Bell Hooks: Alles über Liebe
Wie gut man die Welt sortieren kann.
»Wenn etwas nicht gelingt, genügt es, daß man in ein anderes Zimmer geht.«
Wilhelm Genazino
»Die Wahrheit ist ein Schmetterling, sie landet einmal hier und einmal dort. Du jagst sie mit einem Netz, und wenn du sie fängst, bist du glücklich. Aber sie lebt nicht lange. Die Wahrheit ist ein zartes Ding.«
»Busbecqs Ansicht nach gab es im Leben zwei segensreiche Dinge – Bücher und Freunde –, deren Anzahl in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen sollte: viele Bücher, aber nur eine Handvoll Freunde.«
»Für alle Schüler dieser Welt – niemand hat uns gesagt, dass die Liebe die am schwersten zu erlernende Kunst ist.«
Elif Shafak: Der Architekt des Sultans
»Es ist fast unmöglich, einen Tag nach einer solchen Nacht zu bestehen. Es ist, als gäbe es doch nichts anderes als das. Alles andere ist Ersatz. Wenn das so ist, war dieses Leben nicht viel wert.«
Martin Walser/ Cornelia Schleime: Das Traumbuch – Postkarten aus dem Schlaf
»… oder der schwere dunkelbraune Schreibtisch aus der Designsteinzeit, an dem mein Vater immer noch jeden Tag von morgens bis abends sitzt und seine Übersetzungen macht und am friedlichsten wirkt.«
»Wir wohnen, wie wir gelebt haben. Das ist es, was ich sagen wollte. Und wir leben, wenn uns das Glück nicht verlässt, immer so gut, dass die Dinge, mit denen wir uns umgeben, jetzt schon die schönen Erinnerungen von morgen sind.«
Maxim Biller
»… eröffnet uns die Digitalisierung die Möglichkeit, auf mehreren Zeitebenen gleichzeitig zu stagnieren.«
Sophia Fritz: Die Abwesenheit der Zuversicht
»Das war der eigentliche Unterschied, dachte Ferguson. Nicht zu wenig Geld oder zu viel Geld, nicht was jemand tat oder nicht tat, nicht ein größeres Haus oder ein teureres Auto, sondern Ehrgeiz.«
»… ein Mädchen, das weder normal noch nicht normal war, sondern heiß und furchtlos, und das genau wusste, mit welcher einzigartigen Persönlichkeit es von Geburt an ausgestattet war …«
» … eine griesgrämige, fahrige Frau, die zu sehr mit den Kleinigkeiten des Alltags beschäftigt war und nicht kapierte, dass einem das Leben durch die Finger rinnen konnte, bevor man überhaupt zu leben begonnen hatte …«
»Wie dein lieber Freund Edgar Allan Poe einmal einem aufstrebenden Schriftsteller riet: ›Unerschrocken sein – viel lesen – viel schreiben – wenig veröffentlichen – Distanz halten zu den Kleingeistern – und nichts fürchten‹.«
»… und an jenem Punkt seiner Reise zum Erwachsenendasein strebte er für die Zukunft lediglich an, … ›der Held seines eigenen Lebens‹ zu werden.«
»… denn wenn ein Buch ›so‹ sein konnte, wenn ein Buch ›so‹ auf Herz und Verstand und innerstes Weltgefühl eines Menschen einwirken konnte, dann war Romanschreiben mit Sicherheit das Beste, was man im Leben tun konnte …«
»… da die alten, vorhersehbaren Abläufe nicht mehr galten, wusste man vom einen Tag auf den anderen immer weniger, was passieren würde. Ferguson genoss dieses neue Gefühl der Ungewissheit. Alles mochte im Umbruch sein, und manchmal herrschte das reinste Durcheinander, aber wenigstens war es nicht langweilig.«
»Du musst so viel lernen wie du kannst, … dann musst du’s wieder vergessen und was du nicht vergessen kannst, wird die Grundlage deiner Arbeit bilden.«
»Leer … nicht so, als stünde man allein in einem Raum ohne Möbel, sondern im Sinne von ausgehöhlt … wie eine Schwangere nach der Geburt. Nur war es in diesem Fall eine Totgeburt, ein Säugling, der sich niemals verändern, wachsen oder laufen lernen würde, denn Bücher lebten nur so lange in einem, wie man sie schrieb, und sobald sie herauskamen, waren sie verbraucht und tot.«
»Du willst die Welt nicht neu erfinden, Archie, du willst sie verstehen, damit du auf ihr Leben kannst.«
»… die selbstauferlegte Verpflichtung, sich im Verhältnis zu anderen zu definieren und der Verlockung zu widerstehen, ausschließlich für sich zu leben …«
»Ja, genau, er hatte es gut, und was war das doch für eine großartige und schöne Welt, wenn man bloß nicht so genau hinsah.«
Ein Juli mit Archie Ferguson in vier Versionen.
Paul Auster: 4 3 2 1
»Verzeihen macht eine gemeinsame Zukunft möglich – ob man die überhaupt will, ist eine andere Frage.«
Sven Stillich: Verzeiht euch!
Ein exemplarischer Mensch
»Die Arbeit des Verlegers ist vor allem eine Suche … Der Wunsch, die flüchtige Gegenwart lesbar zu machen, ist sein Antrieb. Die Spur seiner Suchbewegung sind die Bücher, die entstehen. Jetzt und jetzt und jetzt.«
Jan Wenzel
Mehr
»Doch wir waren zwei sehr unterschiedliche Schwangere. Mein Körper reagierte mit Zustimmung, ihrer mit Widerwillen.«
»In den neapolitanischen Geschichten, die sie erzählte, gab es anfangs immer etwas Hässliches, Ungeordnetes, das später die Formen eines schönen Bauwerks, einer Straße, eines Monuments annahm, um dann wieder in Vergessenheit zu geraten, an Bedeutung zu verlieren, schlimmer zu werden, besser zu werden, schlimmer zu werden, in einem von Natur aus unvorhersehbaren Strom, der aus Wellen, Windstille, Sturzfluten und Kaskaden bestand.«
»Um irgendein Projekt auf die Beine zu stellen, das man mit dem eigenen Namen verband, musste man sich selbst lieben, und sie hatte es mir gesagt: Sie liebte sich nicht, liebte nichts an sich.«
»Es gibt diese Anmaßung bei denen, die sich zur Kunst und besonders zur Literatur berufen fühlen: Man arbeitet, als wäre man mit einem Amt betraut worden, aber eigentlich hat uns niemand je mit irgendwas betraut, wir selbst haben uns ermächtigt, Autoren zu sein, und dennoch sind wir bekümmert, wenn andere sagen: ›Was du da geschrieben hast, interessiert mich nicht, es ärgert mich sogar. Wer hat dir das Recht dazu gegeben.‹«
Ein vierwöchiger Sog – die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante:
Meine geniale Freundin
Die Geschichte eines neuen Namens
Die Geschichte der getrennten Wege
Die Geschichte des verlorenen Kindes
Schreibtisch mit Aussicht
Schriftstellerinnen über ihr Schreiben
»Obwohl ich weiß, dass es nicht nur vergeblich, sondern auch ein Verlust ist, der anarchischen Welt-Grammatik meines Kindes eine Ordnung entgegenzusetzen, die Prinzipien wie Stringenz und Effizienz unterworfen ist, werde ich es immer wieder versuchen (die Spülmaschine ausräumen, die Wäsche erledigen, Dinge dorthin zurückbringen, wo ich will, dass sie sind, immer), um diese Tätigkeiten nicht dann erledigen zu müssen, wenn ich arbeiten, also schreiben könnte. Ich werde daran scheitern und schließlich bereuen, dass ich es, in der wenigen Zeit, die meinem Kind und mir täglich bleibt, trotzdem versucht habe.«
– Antonia Baum
»Doch wenn der Drang zu schreiben tatsächlich unbezwingbar ist, dann kommt er stärker zurück denn je, macht einem das Leben als Mutter schwerer als üblich, belädt einen mit unbegründeten und äußerst begründeten Schuldgefühlen. Ist es nun also besser für eine Frau, die schreiben will, Kinder zu bekommen – oder nicht? Ich weiß es nicht. Leben heißt nicht nur lesen und schreiben. Doch das Lesen und Schreiben kann die Macht haben, unser ganzes Leben zu fordern.«
– Elena Ferrante
»So, das war es auch schon. Mehr ist da nicht. Vermutlich geht es jedem, der arbeitet, nicht anders. Man glaubt an sich, man zweifelt an sich, man findet sich lächerlich, und das zu Recht. Das Gute daran ist einzig, dass ich mein Leben zu Hause verbringen kann, ohne einen Vorgesetzten, ohne Kollegen, die vielleicht aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt sind. Ein unglaublich gutes Leben habe ich, auch wenn ich weiß, dass es überraschenderweise irgendwann endet.«
– Sibylle Berg
»Ich konnte es nicht sein lassen und musste Lio im Internet suchen und habe spannendes, schönes gefunden. Also, Lio kann auch aus dem Griechischen von Helios, dem Sonnengott kommen. Und da am Sonntag, 13. Dezember, der Luciatag war, von Lucia, die Leuchtende, von Lux = Licht, habt ihr genau ins Schwarze, wobei eher Weiße getroffen. Darum, viel Freude mit einer kleinen strahlenden Diskokugel.«
»Dass man, wenn man sehr müde ist, sagt, man sei todmüde, fiel mir ein, und dass man, wenn man todmüde ist, doch voller Leben ist, und wenn man lebensmüde ist, schon dem Tod nahe.«
Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe
»Und Clemens hatte eine Erleuchtung: Eindeutigkeit gibt es nur um den Preis des Irrtums.«
»Flackernd erklang die Stimme aus dem Untergrund: ›Idealisten sind gefährliche Menschen. Sie haben ein falsches Bild von der Welt. Krampfhaft suchen sie nach Gelegenheiten, Opfer zu bringen. Und stürzen sich und andere ins Unglück.‹
›Aber du bist doch auch ein Idealist!‹ sagte die Mutter verwundert.
›Eben. Man hüte sich vor mir!‹«
Ein August mit Eginald Schlattners ›Das Klavier im Nebel‹
»Das Stimmungsschicksal vernetzter Gesellschaften, die den dosierten Umgang mit ihren Affekten noch nicht beherrschen, ist die Verstörung, die sich bis zur Panik steigern kann.«
Bernhard Pörksen: Panik, live auf Sendung
»Die Vorliebe für Miniaturen ist bezeichnend für einen ordnungsliebenden Geist, ebenso aber auch die Neigung zur Geheimniskrämerei.«
»Waren alle Menschen so lebendig wie sie selbst? … Zwei Milliarden Stimmen, und jeder einzelne fand seine Gedanken gleichermaßen wichtig, stellte gleich große Ansprüche ans Leben und hielt sich, genau wie alle anderen, für etwas Besonderes, dabei war eigentlich niemand etwas Besonderes. Ertrinken möchte man in seiner eigenen Bedeutungslosigkeit.«
»In einer Geschichte brauchte man sich bloß etwas zu wünschen, man musste es nur niederschreiben, und schon gehörte einem die Welt.«
»Der Preis für selbstvergessene Tagträumerei war immer aufs neue dieser Augenblick der Rückkehr, dieses erneute Sich-Wiedereinfinden in das, was zuvor gewesen war und nun noch ein wenig schlimmer schien.«
»Gab es denn nichts anderes im Leben, nur drinnen und draußen? Konnte ein Mensch nicht auch woandershin?«
»… war es doch ein verlässlicher Grundsatz, daß nichts je so geschah, wie man es sich vorstellt, weshalb ihr dies als wirksame Methode galt, das Allerschlimmste schon einmal auszuschließen.«
Ian McEwan: Abbitte
»Eifersucht ist Liebesneid.«
Wilhelm Busch
30: Du lernst, dass Glück relativ ist.
31: Es wächst am besten zwischen zwei Zuständen.
Heike Faller / Valerio Vidali: ›Hundert‹
»Es zählt nicht mehr das Erreichte, es reicht das Erzählte.«
ernsthaft und absichtlich:
privat, unbeholfen, harmlos und niedlich.
»Die Urform allen Wohnens ist das Dasein nicht im Haus, sondern im Gehäuse. Dieses trägt den Abdruck seines Bewohners. Das neunzehnte Jahrhundert war wie kein anderes wohnsüchtig. Es begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, daß man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Sammethöhlen gebettet, daliegt. Für was nicht alles das neunzehnte Jahrhundert Gehäuse erfunden hat: für Taschenuhren, Pantoffeln, Eierbecher, Thermometer, Spielkarten – und in Ermangelung von Gehäusen Schoner, Läufer, Decken und Überzüge.«
Walter Benjamin: Das Passagen-Werk
»Ich steckte meine Kugel in die Tasche und ließ meine Hand darin. Und plötzlich brauste ein Gedanke in meinem Kopf …
Was, wenn meine Kugel aus dem kanadischen Automaten vielleicht gar keine Murmel war, sondern dieser Planet?«
Katharina Hagena: Das Geräusch des Lichts
»Mein Vater kaufte sich einen weißen VW-Bus mit einer lauten Hupe, die drei verschiedene Töne spielen kann. Damit hupt er die ersten zwei Takte von ›Im Frühtau zu Berge‹, dann ist Schluss. Einmal habe ich ihn gefragt, warum es gerade dieses Lied sein müsse, und er antwortete, dass es Appetit auf Eis mache. Der Hauptgrund sei jedoch, dass Frühtau, ach Frühtau, ein Wort sei, das eigentlich selbst eine Eissorte sein müsse. Und daraufhin ging er in den Keller und schuf eine neue Eissorte, die er ›Frühtau‹ nannte, ein Quittensorbet. Später komponierte er auch eine Sorte für burnoutgefährdete Deutsch- und Englischlehrer. Sie besteht aus Kumquats, Dörrpflaumen und gerösteten Mandeln, die ein bisschen angebrannt sein müssen, und heißt ›Plusquam Parfait‹.
…
Mein Vater fährt immer dann mit dem Eiswagen herum, wenn er Lust dazu hat, selbst im Winter. Die Leute kaufen sein Eis auch in der kalten Jahreszeit. Auf Anfrage kreiert er Sorten für bestimmte Menschen oder Anlässe. Das ist teuer, aber es gibt trotzdem eine Menge Leute, die gern eine Eissorte haben wollen, die nach ihnen benannt ist. So viele Dinge werden nicht nach einem benannt. Für das meiste muss man tot sein und für den Rest reich.
…
Das Eis meines Vaters ist anders als andere Eise, die man sonst so bekommt. Die Sorten haben Namen wie ›Schulfrei‹, ›Freude‹ oder ›Schöner Götterfunken‹. Aber es gibt auch düstere Sorten wie ›Melancola‹, ›Mathe-Eis‹ und ›Kummerspeck‹. Er hat Eis für jeden Tag in der Woche. Montags gibt es Sauren Apfel, dienstags Zartbitter, mittwochs Grießbreis und donnerstags Rhabarberkucheneis mir Baiser. Die Wochenendsorten sind zwanzig Cent teurer. Das Freitagseis besteht aus eine Kugel Schokovanille mit Pfannkuchenstreifen darin und einem Geheimnis. Das heißt, innen in der Kugel versteckt er eine kleine Überraschung. Meistens ist es etwas zu essen, ein Kaugummi, ein Schokopfefferminztaler oder ein Karamellbonbon. Doch hin und wieder ist es etwas anderes, ein runder Kiesel, eine Muschel oder ein gestreiftes Schneckenhaus. Jedenfalls muss man dieses Eis sehr langsam essen.
Das Samstagseis birgt zwar keine Überraschungen, ist aber dafür eine Riesenmonsterkugel Fiordilatte mit rosaroter Himbeersahnehaube. Sonntags gibt es Mandeleis mit Meersalz in der Konzentration menschlicher Tränen. Das Sonntagseis enthält kaum noch Wasser, sondern ist eher wie kaltes Marzipan. Dieses Eis gibt es auch – mit jahreszeitlichen Variationen – an höheren Festtagen wie Ostern (mit Hefekranzstückchen), Pfingsten (mit rosa Pfeffer) und den Adventssonntagen (mit Apfel, Nuss und Mandelkern). Allerdings heißt es an den Feiertagen ›Kyrieleis‹. Alle Tageseiskugeln kann man ausschließlich an ihren jeweiligen Wochentagen erhalten.
Mein Vater denkt sich auch Eissorten aus, die er nur in Kombination verkauft. ›Stadtlandfluss‹ zum Beispiel besteht aus drei Kugeln, nämlich ›Stadt‹ (Gin und Tonic), ›Land‹ (Milch und Honig) und ›Fluss‹ (Wasserminze). Die Sorte ›Freiheit und Abenteuer‹ besteht aus jeweils einer Kugel wildem Thymian und einer aus Pistazie-Sambal. Es gibt außerdem eine Sorte, die heißt ›Vorfrühling‹ und besteht aus Waldmeister und Jasmin. Eine andere heißt ›Sommer‹, ein Blutorangeneis, unter das er die gelben, orangenen und roten Blütenblätter von Ringelblumen mischt. ›Herbst‹ macht er aus Birne in Rosenwasser und ›Winter‹ aus Sternanis und Kokosmakronenkrümeln. Alle vier Kugeln zusammen kosten so viel wie drei, denn die Jahreszeit, die gerade ist, gibt es gratis dazu.«
Katharina Hagena: Das Geräusch des Lichts
»Die Menschen … können nur im Hier und Jetzt leben, dafür sind sie geschaffen, aber aus irgendeinem Grund denken sie ständig an Vergangenes oder machen sich Sorgen um Zukünftiges. Das kommt mir so komisch vor, und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, daß es nur einen Weg gibt, diese Gedanken rauszulassen, nämlich Geschichten zu schreiben. Ich glaube, indem ich allerlei Sachen über verschiedene Leute aufschreibe, kann ich mir allmählich immer klarer über das werden, was ich selber fühle.«
»Man versteht die selbstverständlichsten Sachen nicht, solange man nicht mindestens einen so kraftvollen Sonnenuntergang gesehen hat. Wir lesen eine Million Bücher, sehen eine Million Filme, küssen den Liebsten eine Million Mal, bis wir endlich begriffen haben: Den heutigen Tag gibt es nur ein einziges Mal.«
»Paß auf, daß du nicht alles so überstürzt wie ich, hörst du! Schau dir das Essen an, das Mutter für dich kocht, den Pullover, den sie für dich kauft. Schau deinen Klassenkameraden ins Gesicht, sieh hin, wenn ein Haus in deiner Nachbarschaft abgerissen wird, sieh dir alles genau an. … Daß der Himmel blau ist, zum Beispiel, oder fünf Finger an jeder Hand sind, daß man Vater und Mutter hat, daß man Grüße mit unbekannten Leuten auf der Straße tauschen kann – es ist, wie seinen Durst mit frischem Wasser zu stillen. Man muß jeden Tag trinken, um weiterzuleben. Das ist mit allem so. Wenn man nicht trinkt, verdurstet man irgendwann und stirbt, genauso ist das. Weil man nicht getrunken hat, obwohl genug Wasser da ist.«
»Als Kind habe ich es immer so traurig gefunden, wenn der Abend nahte. … Die Dunkelheit verdeckte die Zukunft, und der Sonnenschein des nächsten Tages schien unglaublich fern. Die Zeit kam mir dichtgedrängt vor … Kinder haben immer ein untrügliches Gespür dafür, ›daß es das Jetzt nur dieses eine Mal gibt‹. Ihre Arme und Beine wachsen so schnell, daß sie fast das Knarren hören können, deshalb weiß ihr Körper einfach instinktiv, daß es mit dem Jetzt genauso sein muß.«
Banana Yoshimoto: Amrita
Ich schaufle Geschichten in mich rein, ohne große Pausen, mit Vergnügen am Traumtanzen zwischen den Worten. Kurz vor der Ankunft im Schloss ist der Urlaub im Buch zu Ende. Der letzte Satz bringt mich zum Schmunzeln: »Boobs would be cool.«
Jillian Tamaki, Mariko Tamaki: This One Summer
»Die als verfallene Ritterfeste gebaute Löwenburg bekommt bald ihren zerbombten Hauptturm zurück.«
»Glück ist, im Fremden die Nähe zu finden, die man bei Freunden manchmal gar nicht mehr sieht. Oder sich nicht zu sehen traut.«
»Das mag nach ›Schuster, bleib bei deinen Leisten‹ klingen. Aber es heißt vor allem, dass es zuletzt keine Literatur ohne persönliche Erfahrung geben kann.«
»… He even came to my thirtieth birthday party in Oakland that doubled as performance art, where I demanded that everyone wear white and that no one speak. In the video of it, Matt is the star, master of communicating through silence—playful, reverent, and true. This is how I will remember him.«
Ivy Johnson, thank you for sharing this memory.
»Die Zeit verläuft nicht linear, ebenso wenig die Erinnerungen. Man erinnert sich immer stärker an das, was einem gerade emotional nahe ist. An Weihnachten denkt man immer, das vergangene Weihnachten wäre erst vor kurzem gewesen, obwohl es zwölf Monate zurückliegt. Der eigentlich nähere Sommer von vor sechs Monaten liegt dagegen gefühlt viel ferner. Die Erinnerungen an Dinge, die emotional der Gegenwart ähnlich sind, nehmen quasi eine Abkürzung.«
Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit
»Vielleicht schreibst du nicht auf Papier, doch in deinem Kopf tust du es. Das hast du schon immer getan. Du bist ein Erinnerer und Bewahrer, und du weißt es.«
Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit
»Für mich hatte diese Korrespondenz die ursprüngliche Qualität von etwas, das seinen Zweck nur in sich selber findet.«
Eulàlia Bosch in: I send you this Cadmium Red ...
»Er wollte noch an etwas denken, doch dann rutschte er im weichen Nebel aus, landete sanft und sank in einen Schlaf.«
»Wenn unsere Augen doch fortgehen könnten, während wir schuften, denkt er. Wir würden arbeiten und sie würden solange über Berg und Tal ziehen.«
Andor Endre Gelléri: Die Großwäscherei
Jeden Morgen ein neuer Gast.
Eine Freude, ein Kummer, eine Gemeinheit,
ein kurzer Moment der Achtsamkeit kommt
als ein unerwarteter Besucher.
Heiße sie alle willkommen und bewirte sie!
Selbst wenn sie eine Schar von Sorgen sind,
die mit Gewalt aus deinem Haus
die Möbel fegt,
auch dann, behandle jeden Gast würdig.
Es mag sein, dass er dich ausräumt
für ganz neue Wonnen.
Dem dunklen Gedanken, der Scham, der Bosheit –
begegne ihnen lächelnd an der Tür
und lade sie ein.
Sei dankbar für jeden, wer es auch sei,
denn ein jeder ist geschickt
als ein Führer aus einer anderen Welt.
Rumi
»Ich schreibe, weil es mich in Bewegung setzt zu Orten, die ich vorher noch nicht kannte. Und weil es mich Orte sehen lässt, die ich vorher so nicht kannte. Interessen: kleine Inseln glücklicher Zufälle. Verlassene Orte. Die letzte in der Telefonliste sein. Bahnen ziehen. Das Unglück in den Familien. Der Trost der Dinge.«
Jessica Sabasch
»Wasser ist elementar, es ist das, woraus wir gemacht sind, wir können weder im noch ohne Wasser leben. Der Versuch, zu definieren, was mir Schwimmen bedeutet, ist, wie eine Muschel zu betrachten, die in einem Meter Tiefe in klarem stillem Wasser liegt. Da ist sie, scharf und konturiert, doch sobald ich nach ihr greife, die Oberfläche durchdringe, wird sie vom Kräuseln fragmentiert. Aus einer Muschel werden fünf, fünfundzwanzig Muscheln, kleinere und größere, und ich taste mich blind vor nach dem, was ich ganz klar gesehen hatte, bevor ich versuchte, danach zu greifen.«
Leanne Shapton: Bahnen ziehen
»Diese jungen Menschen […] agierten als Repräsentanten eines neuen Jahrhunderts. Sie arbeiteten nicht mehr für Vorgesetzte. Sie kannten keine überheizten Büros, keine grauhaarigen Sekretärinnen und keine Telefone, die über Kabel mit der Wand verbunden waren. Sie kannten keine Abteilungen und deren Abteilungsleiter, keine kurzen und langen Dienstwege und auch nicht den Geruch von frisch gesaugten Teppichböden, der die Arme schwer, den Rücken krumm und die Schritte langsam machte. Sie waren selbstständig, selbstsicher, selbstsüchtig, wandelnde Selfies, zwei dauerbewegte Selbstporträts.«
Juli Zeh: Unterleuten
»Dieses Aufräumen ordnet etwas auf allen Ebenen und irgendwann weiß ich, ich kann wieder aufhören. Dann hat es sich auch in mir geordnet oder die Antwort darauf, wie der nächste Schritt aussehen kann, ist da.«
Ein morgendlicher Kuss auf die eigenen Schultern. Jeden Tag eine Kerze für sich selbst anzünden. Spiegelnotiz: Ich bin die Heldin meines Alltags. Tanzend mit dem Besen auf dem Dach. Und Putzen nur im schönsten Kleid. Denn entweder ist alles heilig oder nichts.
Anregungen von Cambra Skadé, ›Auf dem Herzensweg‹ von Sabrina Gundert
»Wie sollte sich ein intelligenter Mensch überhaupt zum Handeln entschließen, wenn doch die Hauptaufgabe des Verstandes darin bestand, zu jedem ›Für‹ ein ›Wieder‹ zu präsentieren? […] Lieber ein kluger Zauderer als ein dummer Draufgänger.«
Juli Zeh: Unterleuten
»… die Menschen werden Tag für Tag neu geboren, an ihnen liegt es, ob sie den gestrigen Tag weiterleben oder den neuen Tag, das Heute, von Grund und Wiege auf beginnen. Doch da ist die Erfahrung, alles was wir im Laufe der Zeit gelernt haben, […] doch wir leben das Leben in der Regel so, als hätten wir keine Erfahrung von früher, oder wir bedienen uns nur jenen Teiles, der es uns gestattet, bei den Irrtümern zu bleiben, wobei wir uns auf Erklärungen und Lektionen der Erfahrung berufen, und nun kommt mir ein Gedanke, der euch absurd scheinen mag, ein Widersinn, dass nämlich die Erfahrung sich weitaus mehr in der Ganzheit der Gesellschaft auswirkt als in jedem einzelnen ihrer Glieder, die Gesellschaft nutzt die Erfahrung aller, aber kein Einzelner will oder kann in Gänze die eigene Erfahrung ausschöpfen.«
José Saramago: Das steinerne Floß
»Die Essenz dessen, was wir wissen, aus dem Halbschatten hervorziehen.«
Karl Ove Knausgård
»Ich bin immer traurig, wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe ... Es ist, als sei ich zu einer Person des Buches geworden. Und mit der Geschichte endet auch das Leben dieser Person.«
Peter Stamm: Agnes
»Glück malt man mit Punkten, Unglück mit Strichen ... Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst, ganz viele kleine Punkte machen ... Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.«
Peter Stamm: Agnes
Schwitzendes Bild mit 5 Sieben
»Der Prozess des Kunstschaffens konfrontiert eine Gesellschaft mit sich selbst. Die Kunst bringt Dinge ans Licht. Sie erleuchtet uns. Sie durchdringt unsere anhaltende Dunkelheit. Sie beleuchtet das Herz unserer eigenen Finsternis und sagt: Na, siehst du?«
»… eine sprachsprühende Feier der Freundschaft und der Literatur, dieser beiden lebensrettenden Anker.«
R E N T E
E R N T E
Abends lese ich in meinem Tagebuch von 2015 und stoße auf ein Zitat von Knausgard, dem nur Essays und Tagebücher sinnvoll erscheinen. – Aus einer Stimme, »einem Leben, einem Gesicht, einem Blick, dem man begegnen konnte. Was ist ein Kunstwerk, wenn nicht der Blick eines anderen Menschen?«
Aus George Perecs Träume von Räumen: »Ich bewohne mein Blatt Papier, ich statte es aus, ich durchlaufe es. Ich lasse weiße Stellen, Zwischenräume (Sprünge im Sinne von Unterbrechungen, Durchgängen, Übergängen). Ich schreibe auf den Rand. Ich beginne eine neue Zeile. Ich verweise auf die Fußnote¹. Ich nehme ein neues Blatt. […] So beginnt der Raum, nur mit Wörtern, mit aufs weiße Papier gebrachten Zeichen. Den Raum beschreiben: ihn benennen, ihn abstecken, wie jene Hersteller von Portolankarten, die die Küsten mit Hafennamen, den Namen von Kaps und kleinen Buchten vollschrieben, bis die Erde am Ende nur noch durch ein fortlaufendes Textband vom Meer getrennt war.«
1) Ich liebe die Verweise auf Fußnoten, selbst wenn ich dort nichts Besonderes zu vermerken habe.
Im Kapitel »Das Schlafzimmer« behauptet Perec, sich an alle Räume bzw. Betten zu erinnern, in denen er je geschlafen hat. Von Raumbeschreibungen erhofft er sich Zugang zu weiteren Erinnerungen: »Es liegt mit Sicherheit daran, dass der Raum bei mir so wirkt wie eine Madeleine bei Proust (unter dessen Zeichen dieses ganze Projekt selbstverständlich gestellt ist)«.
»Die Tonkunst ist ähnlich wie die Wortkunst im Gegensatz etwa zur Malerei oder Bildhauerei eine Zeitkunst.«
»Schumann benutzte ein verkehrt eingestelltes Metronom. Seine irreführenden Zeitangaben mußten später richtiggestellt werden.«
Zwei Aufgaben des Lebensumfangs:
Deinen Kreis immer mehr einschränken und immer wieder nachprüfen, ob Du Dich nicht irgendwo außerhalb deines Kreises versteckt hältst.
ZZ 94
Es gibt nur ein Ziel, keinen Weg.
Was wir Weg nennen, ist Zögern.
HAL 22
»Als die Stehl ihm gar – ungefragt – mitteilte, dass sie ein Werk über Deutschland zu schreiben gedenke, fragte er schroff: ›Wozu?‹ – Die Stehl hatte hierüber nicht nachgedacht und blieb die Antwort schuldig.«
Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden
Gefunden in der Bismarckstraße, Stuttgart
Karl Ove Knausgård
»Es geht hier übrigens nicht um mich – ich nehme nur diesen meinen Fall, um zu illustrieren, welch merkwürdige Paradoxie der Sichtbarkeit sich einstellt, wenn man zu genau (oder: nicht genau genug) hinguckt.«
Samuel Beckett, Endspiel
»Gottseidank weiß mein Zettelkasten nichts von Ordnungsprinzipien und Selbstverlorenheiten. Ihn zu durchstreifen ist jedesmal wie ein Spaziergang durch den undurchforsteten Dschungel. Was sich beim Durchstreifen anzettelt, ist Kondensation des Glücks, ist Wolkenbildung und Erinnerungsregen.«
Alissa Walser, zitiert in: Zettelkästen, Maschinen der Phantasie
»Ach lass – […] : Es ist Nichts so eilig, daß es nicht durch Liegenlassen noch eiliger würde !«
Arno Schmidt: Nobodaddy’s Kinder
»Am Ende sind doch immer die Schlimmsten Meister, das heißt : Vorgesetzte, Chefs, Direktoren, Präsidenten, Generale, Kanzler. Ein anständiger Mensch schämt sich, Vorgesetzter zu sein !«
Arno Schmidt: Nobodaddy’s Kinder
»Zwei Gefahren bedrohen unaufhörlich diese Welt: die Ordnung und die Unordnung.«
Paul Valéry, zitiert in: Claude Simon, der Wind
Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien
»Klepp schlägt zeitweise Stunden mit dem Entwerfen von Stundenplänen tot… Nur wahre Faulpelze können arbeitssparende Erfindungen machen.«
»Es ist aber das Verhältnis der Erwachsenen zu ihren Uhren höchst sonderbar und kindisch in jenem Sinne, in welchem ich nie ein Kind gewesen bin. Dabei ist die Uhr vielleicht die großartigste Leistung der Erwachsenen. Aber wie es nun einmal ist: im selben Maß, wie die Erwachsenen Schöpfer sein können und bei Fleiß, Ehrgeiz und einigem Glück auch sind, werden sie gleich nach der Schöpfung Geschöpfe ihrer eigenen epochemachenden Erfindungen. Dabei ist die Uhr nach wie vor nichts ohne den Erwachsenen. Er zieht sie auf, er stellt sie vor oder zurück, er bringt sie zum Uhrmacher, damit der sie kontrolliere, reinige und notfalls repariere. Ähnlich wie beim Kuckucksruf, der zu früh ermüdet, beim umgestürzten Salzfäßchen, beim Spinnen am Morgen, schwarzen Katzen von links, beim Ölbild des Onkels, das von der Wand fällt, weil sich der Haken im Putz lockerte, ähnlich wie beim Spiegel sehen die Erwachsenen hinter und in der Uhr mehr, als eine Uhr darzustellen vermag.«
»Angenehm langweilig und unbeschwert albern.«
»Durch eine infame Architektur um einen lohnenden Ausblick gebracht, schaute ich mir nur noch den Himmel an und fand schließlich darin Genüge. Immer neue Wolken wanderten von Nordwest nach Südost, als hätte jene Richtung den Wolken etwas Besonderes zu bieten gehabt.«
Günter Grass: Die Blechtrommel
»Fernsehen, davon war die Rede, Fernsehen als Instrument der Bewusstseinsindustrie und überhaupt Kunst im technischen Zeitalter, insbesondere Fernsehen, dazu kann jeder etwas sagen, ausgenommen Gantenbein mit dem Mund voll Banane.«
Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein
»Das Projekt eröffnet eine andere, heterogene Parallelzeit – die Zeit einer gewollten und gesellschaftlich legitimierten Einsamkeit.«
Boris Groys: Die Einsamkeit des Projekts
»Das Buch mit den in uns eingegrabenen, nicht von uns selbst eingezeichneten Charakteren ist unser einziges Buch.«
Marcel Proust
»Die Vergangenheit ist immer neu. Sie verändert sich dauernd, wie das Leben fortschreitet … Die Gegenwart dirigiert die Vergangenheit wie die Mitglieder eines Orchesters.«
Italo Stevo
»Denn nicht wenigen scheint es, als käme die Gegenwart sich selbst abhanden.«
Hanno Rauterberg: Das große Leuchten
DIE ZEIT No 17
»… eine Allegorie dieses schillernden Umwegs, das formvollendete Pamphlet der spielerischen Sublimation.«
Ingeborg Harms: Die Zauberlehrlinge machen Party
DIE ZEIT Nr. 12/2013
»Die Gewissheit, dass alles geschrieben ist, macht uns zunichte oder zu Phantasmen.«
Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel
»Sie hat (so könnte ich mir denken) in einer verzweifelten Laune etwas beschlossen, die Laune ist weg, die Verzweiflung nicht, der Entschluss muss vollstreckt werden zwecks Selbstachtung; sie trinkt –«
»Ich probiere Geschichten an wie Kleider.«
»Alles unverändert: nur ist es nicht gestern, sondern heute. Warum ist es immer heute?«
»Er wollte ins Museum gehen. Um nicht in der Welt zu sein. Allein und jenseits der Zeit wollte er sein.«
»Ob sie noch schlief?
Sie hatten einander versprochen, keine Briefe zu schreiben, nie, sie wollten keine Zukunft, es war ihr Schwur:
Keine Wiederholung –
Keine Geschichte –
Sie wollten, was nur einmal möglich ist: das Jetzt …«
»Noch gab es für sie keine Wiederholung auch nur der Tageszeit. Kein gestern, kein heute, keine Vergangenheit, keine Überwindung durch die Zeit: Alles ist jetzt.«
»Er wusste nicht was machen gegen die Zukunft, die mit dem Erinnern schon begann.«
»Die Zeit, die uns immerfort überholt, Vergangenes in jeder Bagatelle.«
Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein
Sie verrät viel, aber sie gibt nichts preis. Heute sucht sie Menschen, die sich mit sich und der Stille abgefunden haben. Sie wohnt zur Untermiete bei einer 92-Jährigen und besucht regelmäßig eine Nonne, die ihr Inspiration gibt. Sie verweigert sich der Moderne. Sie schreibt, dichtet, zeichnet, erschafft Mikrokosmen des Eigenen, Unangreifbaren. Jeden Tag.
Martin Eich über die Schauspielerin Valery Tscheplanowa
DIE ZEIT Nr. 48/2012
»Die Kehrseite der Individualisierung ist die transzendentale Obdachlosigkeit, die Einsamkeit des Ichs, das in keiner Ordnung mehr aufgehoben ist.«
Ijoma Mangold: Wir Stadtkinder
DIE ZEIT Nr. 47/2012
»Erstmals war ich es, war es meine Person, um die es ging an dem Stillen Ort.«
Peter Handtke: Versuch über den Stillen Ort
»Mehr als alles andere ist es die kreative Wahrnehmung, die dem einzelnen das Gefühl gibt, dass das Leben lebenswert ist. Im Gegensatz dazu steht eine Form der Beziehung der äußeren Realität, die sich als Angepasstheit bezeichnen lässt, die Welt (und ihre einzelnen Teile) wird dann nur als etwas wahrgenommen, dessen man sich bedienen kann oder das Anpassung erfordert. Diese Anpassung bringt für den einzelnen ein Gefühl der Nutzlosigkeit mich sich und ist mit der Vorstellung verbunden, dass alles sinnlos und das Leben nicht lebenswert ist. Viele der betroffenen Menschen haben gerade soviel an kreativer Lebensweise erfahren, dass sie zu der quälenden Erkenntnis kommen, die meiste Zeit unschöpferisch zu sein, im Bann der Kreativität eines anderen oder einer Maschine.«
D. W. Winnicott: Vom Spiel zu zur Kreativität
»Unsere Herzschläge gehören nicht nur unserem Körper. Wir betten sie in die Weite der Tage, und sie sind stets leise gerade an den Orten zu vernehmen, die wir zurücklassen müssen. Schreiben hat häufig mit den Orten zu schaffen, die man zurücklässt. Und mit dem Horchen nach dem eigenen Herzschlag.«
Hermann Hesse
»Texte werden immer wieder korrigiert, variiert, weiterverzweigt, Graphiken mehrschichtig überarbeitet, Bilder und Skulpturen dem Verfall preisgegeben, Zeichnungen in Sekundenschnelle auf einen Papierbogen und dann auf den nächsten geworfen. Über schonungslose Tagebucheintragungen, Filme, Polaroids und Abfallsammlungen werden, zuletzt immer engmaschiger, flüchtige Lebensmomente derart unübersichtlich festgehalten, dass man am Ende nichts mehr sieht und nichts mehr weiß.«
»Wörter sind zum Weinen, Bilder zum träumerischen Sich gehen lassen.«
Dieter Roth: Die Haut der Welt
»Auf die Frage ›wer?‹ antworten, heißt, wie Hannah Arendt nachdrücklich betont hat, die Geschichte eines Lebens erzählen.«
Paul Ricœur, Zeit und Erzählung
»Without books, history is silent, literature dumb, thought and speculation at a standstill. Without books, the development of civilisation would have been impossible. They are engines of change, windows on the world, and (as a poet said) ›lighthouses erected in the sea of time‹. They are companions, teachers, magicians, bankers of the treasures of the mind. Books are humanity in print.«
Barbara W. Tuchman
»Aber es herrscht eine giftige Statusangst, ein gewaltiges Sinnvakuum, ein wahnsinniges selbstreferenzielles Klima.«
Katja Kullmann, Rasende Ruinen
»Ich bin überzeugt, wenn Sie bei Ihrer Schriftstellerei Erfolg haben, werden Sie die auch aufgeben, um sich zu bestrafen.«
»Nie trifft man den anderen im gleichen Gemütszustand, der gleichen Phase, der gleichen Stimmung – niemals. Wir sitzen alle auf einer Wippe.«
»Im Zug begann ich zu schreiben, um die Siebenmeilenstiefelsprünge meines Lebens durch die Ameisenaktivität meiner Feder auszugleichen.«
Über eine solche Fülle von bezeugtem Leben müsste sich ein Biograph eigentlich freuen … sie hat alles sagen wollen, was sich irgend sagen lässt … die Fülle des Formulierten und Notierten führt in ein Dickicht in welchem sich Anaïs Nin auch verliert und versteckt.
Es gibt Situationen, da macht man viele Worte um das eine Wort nicht sagen zu müssen, das einen so zeigen könnte, wie man sich selbst nicht sehen möchte und wie man nicht gesehen werden will … Zudecken mit Material haben Analytiker das genannt.
Gegen was schreibt sie an? Welchen Schmerz sollen die vielen Worte lindern, und wovon lenken sie ab?
Linde Salber
»Der halb bewusste Dämmer zwischen Selbsttäuschung und Betrogen werden.«
Hartmut Böhme
»Es ist leichter ein Zeichen zu werden, als zu versuchen, etwas zu bezeichnen.«
Laurie Penny
Die Schule absolvieren die Menschen am späten Vormittag, die Liebe ist nur ein Augenblick, Schwangerschaft und Geburt eine Sache von Minuten. Alles rast vorbei, nichts wiederholt sich, denn »die Hölle, das ist die Wiederholung«. Als Benny sich in Gini verliebt, will er aber in eben diese Hölle versetzt werden. Er will, ganz romantisch, die Ewigkeit. Aber …
A. F. Th. van der Heijden: Ein Tag, ein Leben
»In Wahrheit ist jede Wahrnehmung schon Gedächtnis. Die reine Gegenwart ist das unfassbare Fortschreiten der Vergangenheit, die an der Zukunft nagt.«
Henri Bergson, Materie und Gedächtnis.
Entdeckt bei Haruki Murakami: Kafka am Strand.